Das Verwaltungsgericht in Hamburg hat in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass die Flächenbegrenzung des Einzelhandels auf bis zu 800 m² in der neuen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung der Freien und Hansestadt Hamburg keine Anwendung findet. Die Antragstellerin begehrte die Feststellung, dass sie der entsprechenden Schließungsverfügung bei einer Fläche von über 800 m² nicht folgen müsse bzw. die eingeräumte Möglichkeit der Reduzierung der Fläche auf 800 m² nicht vornehmen muss.
Dieser Antrag stellt keine Umgehung des grundsätzlich vorgesehenen Normenkontrollverfahren dar, gegen dessen Einführung sich der Hamburger Gesetzgeber bewusst entschieden hat. Es geht hier nicht abstrakt um die Klärung der Gültigkeit der Verordnung, es geht darum, ob die Antragstellerin ihren Betrieb auch bei einer Verkaufsfläche von über 800 m² aufrechterhalten darf. Dieser Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hatte Erfolg.
In diesem Verfahren kommt es zu einer vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Eine Vorwegnahme der Hauptsache soll grundsätzlich nicht erfolgen. Da die Verordnung zeitlich begrenzt gilt, erfolgt eine solche Vorwegnahme hier natürlich. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG ist dies aber möglich. Dies setzt große Erfolgsaussichten, also eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache, sowie schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigen Nachteile im Falle des Abwartens bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens voraus.
Das Gericht bezieht sich zur Begründung der Entscheidung wesentlich auf Art. 12 I GG, also die Freiheit der Berufsausübung. Dieses Recht gilt übrigens auch für juristische Personen, also Kapitalgesellschaften.
Der Eingriff in den Gewerbebetrieb ist nicht gerechtfertigt. Auch wenn Berufsausübungsbeschränkungen durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls legitimiert werden können, müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität aber in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfG 1 BvL 3/07). Dies ist vorliegend aber nicht gegeben. Die reine Größe (bis zu 800 m²) ist nicht ausreichend differenziert genug, die Unterscheidung ist nicht geeignet und erforderlich, die mit ihr verfolgten Zwecke umzusetzen.
Aufgrund der tatbestandlichen Vorgabe von § 28 I IfSG ist ein solches Einschreiten nur dann gerechtfertigt, sofern es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Es ist eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.
Auch wenn die Maßnahmen der Regierung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sind, muss jedoch das Ermessen richtig ausgeübt werden. Und dies ist vorliegend nicht der Fall. Die entsprechende Schutzvorschriften, die in der Verordnung vorgesehen sind, können auch in großflächigen Einzelhandelsgeschäften beachtet werden. Die Möglichkeit der physischen Distanz ist dort sogar teilweise besser möglich.
Soweit die Stadt Hamburg meint, sie verfolge mittelbar infektionsschutzrechtliche Zwecke, da von großflächigen Einzelhandelsbetrieben eine hohe Anziehungskraft ausgeht, ist dies Beurteilung fehlerhaft. Eine Differenzierung allein nach der Verkaufsfläche ist ungeeignet, auch nur mittelbar diesen Schutz zu gewährleisten.
Für die Annahme, dass von großflächigen Einzelhandelsgeschäften eine hohe Anziehungskraft mit entsprechend hohem Kundenverkehr ausgeht, liegen keine gesicherten Erkenntnisse und keine Tatsachenbasis vor. Die Anziehungskraft geht vielmehr unabhängig von der Größe der Verkaufsfläche aus. Der Stadt Hamburg hätten andere Maßnahmen (beispielsweise zeitliche Begrenzung der Öffnung, Sortimentsbeschränkungen) zur Verfügung gestanden. Auch geht genauso eine große Anziehungskraft von attraktiven, nah beieinander liegenden kleinen Verkaufsstellen aus, eine messbare Steigerung des Besucherverkehrs durch großflächige Betriebe ist nicht erkennbar.
Letztendlich kann von der Verkaufsfläche auch nicht auf die Anzahl der Kunden geschlossen werden. Auch das angebotene Sortiment bestimmt den Platzbedarf.
Um die Infektionsgefahr zu reduzieren, die durch eine große Zahl von Menschen in den Innenstädten ausgeht, sind mildere Mittel vorhanden. Die Durchsetzung des geforderten Mindestabstands von 1,5 m ist hierbei von Priorität. Auch käme die Pflicht zum Tragen einer Mund-/Nasenbedeckung im öffentlichen Raum in Betracht.
Letztendlich verstößt die entsprechende Regelung auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG. Die Größe stellt kein geeignetes Differenzkriterium dar.
Die hohen Umsatzeinbußen, die bei Beschränkung auf 800 m² drohen, stellen schwere und unzumutbare wirtschaftliche Nachteile für die Antragstellerin dar.
VG Hamburg, 3 E 1675/20