Der Betroffene bzw. sein Verteidiger hat Anspruch darauf, Einsicht in die gesamte Messreihe zu nehmen. Gerade bei standardisierten Messverfahren ist der Betroffene darauf angewiesen, mögliche Fehler konkret zu benennen. Das Gebot des fairen Verfahrens, das aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird, gibt die Gewähr, dass der Betroffene nicht bloßes Objekt des Verfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auch Einfluss auf den Gang des Verfahrens nehmen kann. Hieraus und auch aus dem Gebot des fairen Verfahrens ergibt sich das Recht auf Einsicht in Akten, Daten und andere Informationsquellen, das auch über das Recht auf Akteneinsicht nach § 147 StPO hinausgeht.
Aufgrund der zu gewährenden Parität des Wissens gegenüber der Verfolgungsbehörde kann der Betroffene verlangen, Einsicht auch in nicht bei den Akten befindliche Unterlagen zu entnehmen, um diese mithilfe eines privaten Sachverständigen oder selbst auszuwerten und auf mögliche Fehler hin zu überprüfen, ohne dass bereits konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden Messfehler vorliegen oder gar vorgetragen werden müssten. Ohne Kenntnis aller Informationen, die der Verfolgungsbehörde zur Verfügung stehen, kann der Betroffene bzw. sein Verteidiger nämlich nicht beurteilen, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Insoweit ist das Einsichtsrecht deutlich weitergehend als die Amtsaufklärung des Gerichts.
Gerade bei standardisierten Messverfahren steht dieses Recht auch im Vorfeld der Hauptverhandlung der Verteidigung zu. Die Verteidigung hat das Recht einer umfassenden Prüfung, es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefert.
Hier wurde der entsprechende Antrag nicht erst in der Hauptverhandlung gestellt, wo es derzeit umstritten ist, ob hierdurch ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gegeben ist. Der Antrag wurde gegenüber der Behörde gestellt, anschließend beantragte die Verteidigung eine gerichtliche Entscheidung über die Ablehnung der Behörde nach § 62 OWiG.
Und da im Bußgeldbescheid kein Fahrverbot und lediglich eine Geldbuße von 120 € verhängt worden war, war auch eine Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts möglich. Insoweit ist es nicht sichergestellt, wenn das mögliche Rechtsmittel (Rechtsbeschwerde) gegen die amtsgerichtliche Entscheidung erst zugelassen werden muss, dass tatsächlich hierüber entschieden wird. Somit ist das Rechtsmittel gegen das zukünftige Urteil nicht sicher eröffnet, sodass ein Ausschluss der Beschwerde nach § 305 StPO nicht in Betracht kommt.
LG Bielefeld, 10 Qs 278/20