Wenn sowohl der Betroffene als auch der Verteidiger (mit schriftlicher Vollmacht) nicht zum Termin bei Gericht in einer Ordnungswidrigkeitensache kommen, wird der Einspruch nach § 74 II OWiG verworfen.
Fraglich ist immer wieder, wie zu verfahren ist, wenn kurz vor der Verhandlung noch ein Schriftsatz bei Gericht eingeht.
Im 1. Fall ging mittels elektronischem Rechtsverkehr ca. ein 1¼ Stunden vor Sitzungsbeginn ein Verlegungsantrag der Verteidigerin des Betroffenen bei der Poststelle des Gerichts ein, dieser Antrag wurde von der Geschäftsstelle des Richters aber erst 3 Tage nach der Sitzung zur Kenntnis genommen. Das Rechtsbeschwerdegericht führt aus, dass das Gericht den Einspruch nur verwerfen darf, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist. Der Amtsrichter hat also von Amts wegen zu prüfen, ob derartige Umstände ersichtlich sind. Das erfahrungsgemäß die Geschäftsstelle eines Gerichts auch noch kurz vor einem Terminverständigt wird, wenn der Betroffene verhindert ist, hat sich der Richter aufgrund seiner Fürsorge- und Aufklärungspflicht vor Erlass eines Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle zu vergewissern, ob eine derartige Mitteilung vorliegt, wenn überraschend wieder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Termin erscheinen. Eine Nachfrage bei der Poststelle muss der Richter aber nicht stellen.
Der Betroffene hätte sich also direkt an die Geschäftsstelle des Richters wenden müssen.
KG Berlin, 3 Ws (B) 50/20
In einem anderen Fall nahm der Betroffene 58 Minuten vor Sitzungsbeginn per Telefax den Einspruch zurück. Er erschien nicht, ebenso wenig sein Verteidiger. Der Einspruch wurde dann doch durch Urteil verworfen. Das OLG hob die Verwerfung auf, da nach der Rücknahme nicht mehr durch Urteil verworfen werden durfte. Allerdings musste der Betroffene die Kosten der Rechtsbeschwerde tragen. Er hat die Rechtsbeschwerde durch seine schuldhafte Säumnis verursacht, da die Rücknahme des Einspruchs so spät erfolgte, dass damit gerechnet werden muss, dass sie den zuständigen Richter nicht mehr vor Beginn der Hauptverhandlung erreicht.
OLG Bremen, 1 SsBs 65/19
In beiden Entscheidungen wird deutlich, dass man nicht darauf vertrauen darf, dass die Gerichte so organisiert sind, dass Posteingänge bis zu 1 Stunde vor dem Termin tatsächlich auch noch den Richter erreichen. Im 1. Fall wurde der Antrag aus dem elektronischen Rechtsverkehr nicht weitergeleitet, im 2. Fall offensichtlich das Telefax nicht dem Richter bekannt gegeben.
Es mag insbesondere bei großen Amtsgerichten organisatorisch schwierig sein, für eine zügige Weiterleitung von Informationen Sorge zu tragen. Das Gericht hat aber vor seiner Verwerfungsentscheidung eine Wartepflicht, diese Zeit könnte ja auch genutzt werden, um Erkundigungen einzuholen.