Der Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg vertritt die Auffassung, dass die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in Deutschland über den Umfang des Akteneinsichtsrechts in Bußgeldverfahren uneinheitlich sei. Dies ist nicht hinzunehmen, das OLG Karlsruhe hätte die Rechtsbeschwerde zulassen und eingehend prüfen müssen, ob in der Sache eine Divergenzvorlage zum BGH angezeigt ist.
Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, 1 VB 64/17
Diese Entscheidung ist am 14. November ergangen. 2 Tage vorher entschied das Bundesverfassungsgericht über eine ähnliche Verfassungsbeschwerde:
Standardisierten Messverfahren insbesondere bei Geschwindigkeitsverstößen, sind zulässig. Bei derartig massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten kann nicht jede einzelne Entscheidung durch jedes einzelne Amtsgericht sachverständig überprüft werden. Die damit verbundene Vereinfachung des Verfahrensgangs und die natürlich gegebene Messungenauigkeit von derartigen Verfahren wird durch die Verkehrsfehlergrenze angemessen berücksichtigt. Das Bußgeldverfahren als solches ist gerade im Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für das tägliche Leben auf eine Vereinfachung und eine schnelle Erledigung ausgerichtet. Dies ist auch nicht zu beanstanden, da es mehr eine verwaltungsrechtliche Pflichtenmahnung darstellt als die Ahndung kriminellen Unrechts.
Allerdings muss sich ein Gericht mit substanzhaltiger Kritik an dem jeweiligen Messverfahren auseinandersetzen. Hier müssen Fehler aufgedeckt werden, die Verteidigung darf sich nicht nur in Vermutungen ergehen.
Auch gebietet es ein rechtstaatliches und faires Verfahren, dass zwischen Verfolgungsbehörden und dem Betroffenen Waffengleichheit besteht. Der Betroffene hat deshalb ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen, ihm steht insoweit ein entsprechendes Informationsrecht zu. Dieses umfasst auch Informationen, die dem Gericht durch die Verfolgungsbehörde nicht vorgelegt werden und die das Gericht auch nicht aus Gründen seiner Aufklärungspflicht beiziehen möchte.
Die so aufgefundenen Informationen können der Verteidigung dazu dienen, eine fundierte Begründung für einen Beweisantrag abzugeben. Grundsätzlich können diese Grundsätze aus dem Strafverfahren auch auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen werden.
Es wird dann nochmals darauf hingewiesen, dass bei Geschwindigkeitsmessungen keinen Erfahrungssatz besteht, dass die eingesetzten Messgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern.
Insoweit ist gerade aufgrund des Begründungszwanges für entsprechende Anträge bei standardisierten Messverfahren das Informationsverlangen der Verteidigung nachvollziehbar.
Das Recht auf Zugang zu den Informationen außerhalb der Akte besteht allerdings nicht unbegrenzt. Sofern Informationen begehrt werden, müssen sie in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Vorwurf stehen und eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen.
Insoweit haben die Bußgeldbehörde und die Fachgerichte im Einzelfall zu entscheiden, ob die entsprechenden Informationsgesuche der Verteidigung notwendig sind.
Grundsätzlich besteht also ein Informationsrecht, über dessen Ausgestaltung und Umfang müssen die Fachgerichte entscheiden. Tun sie dies nicht, liegt ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens vor.
BVerfG, 2 BvR 1616/18
Anzumerken bleibt noch, dass dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht entsprochen wurde, da die Betroffenen auch aus dem (zeitlich befristeten) Fahrverbot keine schweren Nachteile entstehen, die durch eine entsprechende einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vermieden werden müssten.
Insgesamt gibt es also ein recht umfassendes Informationsrecht, wie dieses ausgestaltet wird, wie umfassend dieses Informationsrecht ist, diese Entscheidung obliegt den Fachgerichten. Allerdings dürfte die unterschiedliche Behandlung, die bisher in den jeweiligen Bundesländern bei den jeweiligen Oberlandesgerichten erfolgte, nur noch schwer zu halten sein.