Kommt es zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Linksabbieger und einem entgegenkommenden Kraftfahrzeug, das eine deutliche Geschwindigkeitsüberschreitung begeht, kann dies unter Umständen zur Alleinhaftung des eigentlich bevorrechtigten entgegenkommenden Geradeausfahrers führen.
Hier fuhr der entgegenkommende Fahrer mit 90 km/h statt 50 km/h, was zwar grundsätzlich das Vorfahrtsrecht nicht aufhebt, allerdings musste der wartepflichtige Linksabbieger mit einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht rechnen. Auch ging der Linksabbieger aufgrund einer roten Ampel davon aus, dass der entgegenkommende Fahrer dort halten würde, zumindest dass er noch so weit vor der Ampel sei, dass ein abbiegen ohne Gefahr möglich sein müsste, als er mit seinem Abbiegevorgangs begann. Der entgegenkommende Fahrer haftet hier voll.
OLG Brandenburg, 12 U 62/22
Anmerkung: Die Wartepflicht vor dem Abbiegen besteht, wenn der Fahrer den Gegenverkehr rechtzeitig wahrnehmen kann. Schätzfehler bezüglich Entfernung und Geschwindigkeit gehen grundsätzlich zu seinen Lasten, auch gemäßigte Geschwindigkeitsüberschreitungen sind einzukalkulieren. Wenn er das entgegenkommende Fahrzeug erst später bemerkt, muss er sofort anhalten, wenn das Abbiegemanöver nicht mehr rechtzeitig abgeschlossen werden kann.