Kommt es zu einem Unfall innerorts, bei dem ein Unfallbeteiligter bis kurz vor der Kollision mit mehr als 100 km/h fuhr und erst knapp vor dem Unfall abbremste, überwiegt das Verschulden den Verursachungsbeitrag und die allgemeine Betriebsgefahr des Unfallgegners vollständig. Bei einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung ist davon auszugehen, dass leichte Verkehrsverstöße Dritter – wie hier (Linksabbieger) – hinter einem solchen besonders schwerwiegenden erheblichen Verstoß regelmäßig vollständig zurücktreten. Es gibt zwar keinen allgemeingültigen Richtwert in Bezug auf das berechtigte Vertrauen eines Wartepflichtigen, dass der Bevorrechtigte die Geschwindigkeit nicht in grober und außergewöhnlicher Weise überschreitet. Hier war die Überschreitung aber so groß, dass es zur Alleinhaftung kam.
Das Gericht ging davon aus, dass bei einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung der Kraftfahrer sich bewusst außerstande setzt, unfallverhütend zu reagieren und damit für ihn keine hinreichende Möglichkeit besteht, bei entsprechendem Anlass auf das Fehlverhalten Dritter zu reagieren. Er hat keine Chance, auf unvorhersehbare Verkehrssituationen noch zu reagieren.
KG Berlin, 22 U 33/18